Jahrestagung in Selzen am 15. Oktober 2022

Historische Häuser in Selzen
Vortrag Jessica Boller
Vortrag Pauline Bernhard
Vortrag Stefan Bremler
Ortsrundgang

Von Franken und Fröschen. Selzer Geschichte im Fokus der Jahrestagung des Historischen Vereins Rheinhessen

Tiefe Einblicke in die Selzener (oder wie die Einheimischen sagen: Selzer) Geschichte und Gegenwart erhielten die Besucherinnen und Besucher der diesjährigen Jahrestagung des Historischen Vereins Rheinhessen. Wie jedes Jahr im Herbst – nach einer coronabedingten Pause – trafen sich die an der Geschichte und Kultur Rheinhessens Interessierten, um über Vorträge und Dorfrundgänge einen rheinhessischen Ort besser kennen zu lernen. Dieses Mal in Selzen, im Weingut Paulinenhof. Geplant und durchgeführt vom Vorstand des Historischen Vereins und dem lokalen Organisationsteam Pauline Bernhard, Stefan Bremler und Klaus Penzer, hatte die Tagung bereits in der Vorwoche so viele Anmeldungen, dass auf öffentliche Werbung verzichtet werden musste.

Der Mainzer Archäologe Dr. Ronald Knöchlein referierte über die Bedeutung Selzens in der Geschichte der Archäologie. Seit in den 1840er Jahren fränkische Gräber in Selzen freigelegt worden waren und die Funde einer breiten Leserschaft durch die Brüder Lindenschmit bekannt gemacht wurden, ist das rheinhessische Dorf in Fachkreisen international bekannt. Ronald Knöchlein zeichnete sehr klar die wissenschaftlichen Debatten des 19. Jahrhunderts nach, die durch nationale Identifikationen mit Germanen auf der deutschen, mit den Kelten auf der französischen Seite geprägt waren. Dass Ludwig Lindenschmit Verbindungen in beide Richtungen hatte, Begründer des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, aber auch federführend bei der Gründung eines archäologischen Museums in Paris war, kann als ein Zeichen von Völkerverständigung gesehen werden.

Jessica Boller aus Dexheim stellte die Ergebnisse ihrer vom Historischen Verein mit einem Förderpreis ausgezeichneten Bachelorarbeit vor. Sie arbeitete einen Gerichtsfall aus dem Jahr 1789 auf: eine Dexheimer Magd wurde wegen ihrer unehelichen Schwangerschaft vor das Ortsgericht zitiert. Als Vater gab sie den Sohn des Schultheißen an, als Ort der ersten Begegnung die Selzer Kerb. Der aber stritt alles ab. Frau Boller konnte zeigen, welche Bedeutung das „Gerede im Dorf“ für den Verlauf dieses Konfliktes hatte.

Pauline Bernhard, ebenfalls Förderpreisträgerin mit ihrer Bachelorarbeit, präsentierte das Tagebuch ihres Selzener Urgroßvaters Johann Adam Kissinger, der 1895 bis 1936 alles, was ihm wichtig war, zu Papier brachte: ganz viel Familiengeschichte, aber auch landwirtschaftliche Themen, das Wetter, politische Beobachtungen. So entsteht ein dichtes Bild vom Leben eines Landwirtes im ersten Drittel des 20. Jahrhundert.

Stefan Bremler, äußerst aktiver Blogger in Sachen Ortsgeschichte und Kultur, zeigte die vielfältigen Möglichkeiten auf, mit modernen Medien Lokalhistorie zu vermitteln. Wie schon sein Blog „derselzer.de“ begeisterte auch die gelungene grafische Präsentation seiner vielfältigen Themen und sein Bericht von der Entstehung des Wandbildes vom „Selzer Frosch“.

Per Zoom-Verbindung aus Kanada zugeschaltet war der in Selzen wohnhafte Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Werner Nell, der zur Zeit an der Universität in Ontario lehrt. Der international renommierte Experte für das Thema „Dorf und Land“ zeichnete in seinem Vortrag mit dem Titel „Sterben die Dörfer?“ ein grundsätzlich positives Bild dörflicher Entwicklung und zeigte in der Wissenschaft diskutierte Ansätze über die Zukunft des Dorfes auf.

Nachmittags führten Pauline Bernhard, Stefan Bremler und Klaus Penzer die zahlreichen Gäste auf verschiedenen Routen durch die Selzgemeinde. Angesichts der sehr guten und freundlichen Aufnahme der Gäste in Selzen kündigte der Vereinsvorsitzende, Dr. Gunter Mahlerwein, in seiner Begrüßung schon, zukünftig mit dem Historischen Verein immer wieder nach Selzen kommen zu wollen. Das könnte schon bald realisiert werden, denn eine Wiederholung einiger Vorträge ist geplant. Die nächste Jahrestagung wird im Herbst 2023 in Worms-Abenheim stattfinden.

Hier können Sie sich das Programm nochmal als pdf-Datei herunterladen.